Barbarei bekommt ein vollständigeres Bild – 7. Verlegung von Stolpersteinen in der Innenstadt

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Foto: Unter starker Beteiligung von Schülerinnen und Schülern weiterführender Schulen hat der Initiator und Künstler Gunter Demnig am Dienstagvormittag neun weitere Stolpersteine in der Innenstadt verlegt.
Unter starker Beteiligung von Schülerinnen und Schülern weiterführender Schulen hat der Initiator und Künstler Gunter Demnig am Dienstagvormittag neun weitere Stolpersteine in der Innenstadt verlegt. Vor den Gebäuden Oststraße 54, Weststraße 73 und Königstraße 13 erinnern sie an die Schicksale von früheren jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, die von den Nationalsozialisten verfolgt worden waren.

Erstmals wurden dabei auch Steine für Personen verlegt, welche der Ermordung durch Flucht oder Befreiung entkommen konnten. Vor dem Wohnhaus der Familie Moszkowicz in der Klosterstraße erinnert nun ein Stolperstein an Ahlens Ehrenbürger Imo Moszkowicz.

In seiner Ansprache in der Klosterstraße betonte Bürgermeister Dr. Alexander Berger, mit der Verlegung von Stolpersteinen auch für die Überlebenden schlage die Stadt Ahlen ein neues Kapitel im Buch der Erinnerungskultur auf. „Die öffentliche Erinnerung an die Barbarei, unter der die jüdischen Bürger unserer Stadt litten, bekommt damit ein umfassenderes, ein vollständigeres Bild.“ Ermordete, Befreite und Exilanten seien in gleichem Maße Opfer der Nazi-Tyrannei gewesen. Die Stolpersteine mögen „unsere Betroffenheit wecken während des ganzen Jahres, auch außerhalb der Gedenktage und besonderen Anlässe“, wünscht sich Berger. „Sie sollen uns mahnen, dass nie wieder Hass, Ausgrenzung und fanatischer Nationalismus die Oberhand gewinnen und zur Staatsdoktrin werden.“

Berger rief in Erinnerung, dass der 2011 verstorbene Ehrenbürger Imo Moszkowicz trotz aller Entrechtung und Entwürdigung, die er in Ahlen erleben und erleiden musste, die Hand zur Versöhnung ausgestreckt habe. „Ich freue mich, dass sein Vorbild auch heute in den Schulen wachgehalten und unserer Jugend vermittelt wird“, würdigte der Bürgermeister das Forum Brüderlichkeit und den Arbeitskreis weiterführender Schulen, „die sich vorzüglich für die historische Bildung und gegen die Geschichtsvergessenheit in vielfältiger Weise verdient machen.“ Schüler der Israel-Palästina-AG am Gymnasium St. Michael verlasen an den Verlegeorten Auszüge aus den Biographien der Verfolgten. Schon in der Woche zuvor hatten Schüler der Geschwister-Scholl-Schule in Eigeninitiative ältere Steine gereinigt.

Den Anwesenden, unter ihnen die Ehrenbürger Herbert Faust und Horst Jaunich, richtete der Bürgermeister die Grüße von Daniela Dadieu-Ebenbauer aus. Im Namen ihrer Mutter Renate Moszkowicz und ihres Bruders wünscht sie der Verlegung einen guten Verlauf. In seiner Moderation erläuterte Fachbereichsleiter Christoph Wessels, dass mit Abschluss der siebten Verlegerunde insgesamt 94 Stolpersteine in Ahlen verlegt worden seien. „Es war nicht schwierig, dafür Paten zu finden“, dankte Wessels Einzelpersonen, Schulen und der Stadt für ihre Unterstützung. Spontan erklärten sich die Altbürgermeister und Ehrenbürger Herbert Faust und Horst Jaunich bereit, die Patenschaft für den Stolperstein von Imo Moszkowicz zu übernehmen. Im Anschluss an die Verlegung nutzten die Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit, sich im Cinema Ahlen den Film „Leben ohne Hass – Imo Moszkowicz: Ein Regisseur aus Deutschland“ anzusehen. Eine weitere Verlegerunde ist für das kommende Jahr beabsichtigt.

Hintergrund:

Im Rahmen der Stolperstein-Verlegung am 22. November sind Steine für Ehrenbürger Imo Moszkowicz und dessen Vater Benjamin verlegt worden. Die Erinnerungssteine wurden vor dem letzten Wohnhaus der Familie Moszkowicz an der Klosterstraße 13 ins Straßenpflaster eingelassen. Dort liegen bereits sieben Steine aus vorherigen Verlegungen, die das Schicksal der Ermordeten aus der Familie Moszkowicz ins Gedächtnis rufen. Bereits seit Dezember 2008 liegen vor dem Haus Klosterstraße 13 die Steine für Imos Mutter Chaja und seine Geschwister David, Hermann, Aaron, Gisela, Moses und Rachla.

Zurückzuführen ist das in ganz Deutschland verbreitete Stolpersteinprojekt auf den Künstler Gunter Demnig, der sieben weitere Stolpersteine an der Oststraße 54 für Bertha Rollmann und vor dem Haus Weststraße 73 für Angehörige der Familien Loe und Simon verlegte.

Die Stadt Ahlen verlieh Imo Moszkowicz im Jahre 2006 die Ehrenbürgerschaft. Fünf Jahre später starb der Regisseur im Alter von 86 Jahren an seinem Wohnort in Ottobrunn bei München. Imos Vater Benjamin gelang 1938 die Flucht nach Argentinien. Vergeblich blieben alle Anstrengungen, auch die Familie in das südamerikanische Exil nachzuholen. Mit Ausnahme seines Sohnes Imo ermordeten die Nazis sämtliche Familienmitglieder.

Vor neun Jahren hat die Stadt Ahlen erstmalig Stolpersteine im Straßenpflaster verlegt. Sie erinnern vor ihren jeweils letzten Wohnhäusern an jetzt 94 frühere Ahlener Bürgerinnen und Bürger, die der Nazidiktatur aus rassischen oder politischen Gründen zum Opfer gefallen sind. Die mit einer Messingabdeckung versehenen Pflastersteine sind mit dem Namen des Opfers, seinem Geburtsjahr, dem Deportationsdatum und –ziel sowie dem Todesdatum bzw. dem Jahr der Flucht versehen. Für 2017 ist eine weitere Verlegung in Vorbereitung. Bürgerinnen und Bürger, die in dieser Weise einen Beitrag zur Erinnerungskultur in Ahlen leisten möchten, können für 120 Euro pro Stein eine Patenschaft übernehmen. Auskünfte erteilt in der Stadtverwaltung Manfred Kehr unter T. 02382 59567 (E-Mail: kehrm@stadt.ahlen.de).

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