Barbarei bekommt ein vollständigeres Bild

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Einem in Ahlen bislang wenig beleuchteten Kapitel des NS-Terrors widmet sich die nächste Verlegerunde von „Stolpersteinen“. „Körperlich, geistig und seelisch Behinderte wurden von den Nationalsozialisten systematisch ermordet, auch aus Ahlen kamen die Opfer“, macht Bürgermeister Dr. Alexander Berger auf das erlittene Unrecht aufmerksam. Anfang Februar soll der Menschen gedacht werden, die in sogenannten Heilanstalten systematisch getötet worden waren.

Den Stein ins Rollen brachte eine Bürgerin aus Süddeutschland. Nach der letzten Stolpersteinverlegung im Februar wies sie darauf hin, dass ihr Großvater, Inhaber eines Lebensmittelgeschäftes in der Rottmannstraße, als „geistesgestört“ zunächst in die Heilanstalt Gütersloh eingewiesen und 1944 im Tiegenhof/Gnesen im heutigen Polen starb – mit hoher Wahrscheinlichkeit ermordet.

Für die Stadt Ahlen ging Manfred Kehr den Hinweisen nach und forschte zwei Tage im Archiv des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Er fand Namen von 28 Ahlener Bürgerinnen und Bürger, die sich nach dem Rassenhygienegesetz vom 1. Januar 1934 „schuldig“ gemacht haben: Diese Menschen seien, so heißt es in den Akten, „Gefährder des arischen Erbguts“. Allein im Zuge der „T4-Aktion“ wurden zwischen 1939 und 1941 etwa 80.000 Menschen planmäßig ermordet. Von den 28 Ahlener Opfern sollen nun 20 mit einem Stolperstein geehrt werden. Kehr weiß, dass damit ein neues Kapitel der Ahlener Erinnerungskultur aufgeschlagen wird, „das belastend und befriedigend zugleich ist.“

Dass die Auseinandersetzung mit dem Thema Euthanasie in der Nachkriegszeit zu lange ausgeblendet worden war, zeigte im Frühjahr 2017 eine Ausstellung im St.-Franziskus-Hospital. „Es waren die Kinder, Frauen und Männer, die am meisten des Schutzes und der Fürsorge durch Staat und Gesellschaft bedurften: Geistig und emotional Behinderte, körperlich schwer Gebrechliche, Hilflose“, erinnerte Bürgermeister Berger bei der Eröffnung der Ausstellung „Im Gedenken der Kinder – Die Kinderärzte und die Verbrechen an Kindern in der NS-Zeit“. Das Grundgesetz garantiere „als Lehre aus den Verbrechen der Nazizeit allen Menschen ungeachtet ihrer Rasse, ihres Geschlechts und ihrer gesundheitlichen Verfassung die unantastbare Würde.“ Daraus folge als Ausdruck des humanen Selbstverständnisses heute die Pflicht, allen Menschen die volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

Berger betont, dass die Verlegung der Stolpersteine als Angelegenheit der ganzen Bürgerschaft zu sehen sei. Deshalb werden auch in diesem Jahr wieder Bürger und Bürgerinnen gesucht, die bereit sind, Steinpatenschaften in Höhe von je 120 Euro zu übernehmen. Interessierte können sich bei Manfred Kehr unter Tel. 02382 59567 (kehrm@stadt.ahlen.de) melden.

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