Brief des Bürgermeisters zum 1. Mai
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Die Straßen bleiben leer, wo in besseren Jahren Gewerkschaften zu Demonstrationszügen einladen und die Errungenschaften der Arbeitnehmerbewegung feiern bzw. Forderungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen aller Beschäftigten stellen. Der 1. Mai 2020 verharrt in ungewisser Anspannung und unklarer Erwartung dessen, was in Folge der Corona-Krise noch alles auf uns zukommen wird.
Und gerade deswegen ist es mir ein ganz besonders wichtiges Anliegen, allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an diesem Feiertag, an dem vielen nicht zu Feiern zumute ist, meine Grüße zu übermitteln. Die Gesellschaft nimmt sich heute einen Tag Auszeit und findet Gelegenheit, die Leistungen zu würdigen, die viele von Ihnen in den letzten Wochen für unsere Gesellschaft erbracht haben. Wir feiern heute Sie, liebe Beschäftigte an den sogenannten „system- und infrastrukturrelevanten Arbeitsplätzen“: in den SB-Märkten, in den Pflege- und Medizineinrichtungen, in den Notbetreuungseinrichtungen für Kinder, die Postboten, Bus- und Lkw-Fahrer, Ordnungskräfte sowie diejenigen Frauen und Männer, die an ihren Arbeitsstellen unter Aufbietung größten Engagements alles dafür tun, damit unser Gemeinwesen auch in der Krise funktioniert. Mit vereinten Kräften tun sie alles dafür, dass das Ende am dunklen Tunnel so schnell wie möglich erreicht wird.
Nicht nur an diesem Tag verdienen unser aller Respekt und Mitgefühl alle, die in Folge der Corona-Pandemie erhebliche finanzielle Einbußen und wirtschaftlichen Schaden hinzunehmen haben. Das sind die Menschen, die in Arbeitslosigkeit entlassen worden sind, das sind die Kurzarbeitenden, deren Firmen gegenwärtig unter einem Einbruch der Auftragslage leiden, und das sind auch die unternehmerisch tätigen Personen, welche vom Solo-Selbstständigen bis zum mittelständischen Unternehmer sorgenvoll das noch im Nebel liegende Morgen erwarten. Für viele von ihnen bekommt der „Tag der Arbeit“ in diesem Jahr eine neue Bedeutung. Sie erleben ihn nicht mehr nur als den vertrauten und geschätzten freien Tag im Frühling.
Der 1. Mai im Jahr der Corona-Pandemie veranlasst uns innezuhalten. Er führt uns wieder bewusst vor Augen, welch kostbare Bedeutung die Arbeit hat: Sie gibt uns die finanzielle Grundlage, um Bedürfnisse zu befriedigen und Träume zu erfüllen, sie ist aber auch von unschätzbarem sozialen Wert. Wie wichtig uns die sozialen Kontakte auf der Arbeitsstelle sind, spüren wir, wenn sie wie mit einem Schlag durch eine höhere Gewalt plötzlich unmöglich gemacht werden. Der „Tag der Arbeit“ ist eben keine Folklore, wie seine Kritiker bisweilen spöttisch behaupten. Er ist das Manifest für den Stolz und die Würde, die Arbeit dem Menschen gibt – nach meinem Empfinden war dieser Feiertag selten sinnstiftender als heute.
Zum bisherigen Höhepunkt der Kontaktverbote habe ich vor einem Monat gesagt: Diese Krise kriegt uns nicht klein! Das will ich gerne bekräftigen und wiederholen. Bei aller Finsternis, die zurzeit über unserem Land und unserer Stadt liegt, dürfen wir nicht die Lichtzeichen am Horizont übersehen. Wie kein anderes Land in der Welt tut Deutschland alles dafür, seine Wirtschaft bestmöglich durch die Krise zu führen. Andere Nationen reiben sich ungläubig die Augen, welche enormen finanziellen Kraftakte wir stemmen, um unsere Betriebe und Beschäftigten vor lang anhaltendem Schaden zu bewahren. Das ist nur möglich, weil über die Jahrzehnte Vertrauen und Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Wirtschaft gewachsen ist, beide ihre Verantwortung als „Partner der Beschäftigung“ kennen und wahrnehmen. Meinen herzlichen Dank an alle engagierten Gewerkschafter, die in den Betrieben die Fahne der solidarischen Mitbestimmung hochhalten. Sie sorgen mit starkem Arm und kräftiger Stimme dafür, dass die Belange der Arbeitnehmerschaft ernstgenommen und durchgesetzt werden!
Die Regelungen zur Kurzarbeit waren schon in der Finanzkrise 2008 bis 2010 der Schlüssel zum Erfolg, warum der deutsche Arbeitsmarkt relativ unbeschadet blieb von den globalen Verwerfungen. Während nach Massenentlassungen anderswo Unternehmen mühselig ihre Belegschaften wieder aufbauen mussten, liefen Maschinen und Dienstleistungen in Deutschland ohne nennenswerte Verzögerungen wieder an. Daraus hat die Politik parteiübergreifend gelernt und Möglichkeiten gefunden, dass Kurzarbeit in einem noch nie gekannten Umfang angewendet werden kann. Ich bin mir sicher: Dieses Modell wird auch nach der akuten Phase der Corona-Krise das stabile Fundament für einen raschen Ausstieg aus der unumgänglich folgenden Rezession sein.
Verlieren Sie bitte nicht den Mut! Bei allen Einschränkungen, die eine große Anzahl Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zurzeit zu ertragen haben, haben wir dennoch solide begründete Aussichten auf zügige Erholung nach der Notlage. In vielen Unternehmen stehen Entscheidungen an, wie die Zukunft gestaltet werden soll. Der betrieblichen Mitbestimmung wird dabei eine wesentliche Aufgabe zukommen: Solidarisch, selbstbewusst und meinungsstark sollen die Vertreterinnen und Vertreter in den Betriebs- und Personalräten handeln, damit effektiv die Weichen gestellt werden für die Nach-Krise-Zeit.
Und vielleicht stellen Beschäftigte und Arbeitgeber dabei fest, dass sich manche „Errungenschaft“ der erzwungenen Auszeit unter veränderten Bedingungen sogar dauerhaft in die Arbeitswelt integrieren lässt. In der Stadtverwaltung zum Beispiel hat die sprunghaft ausgeweitete Tele-Arbeit die Auseinandersetzung mit eingefahrenen Abläufen in Gang gesetzt und neue, produktivere Prozesse ausgelöst. Digitalisierung ist nicht mehr nur eine abstrakte Größe, sondern für viele meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine positive Erfahrung geworden. Ich bin mir sicher, dass in nicht wenigen Betrieben ähnliche Einsichten entstanden sind. Was wir davon behalten wollen, gilt es zwischen Arbeit gebenden und Arbeit nehmenden verantwortungsvoll auszuloten und heute schon vorzubereiten.
Um in die neue Normalität körperlich gesund und möglichst wirtschaftlich unbeschadet zu kommen, brauchen wir aber noch immer Geduld. Der Berg ist noch nicht geschafft! Bleiben Sie bitte unbedingt weiter auf Abstand und halten Sie auch die einfachen Hygieneregeln wie das Niesen in die Ellenbeuge und das häufige Waschen der Hände weiter ein. Alltagsmasken leisten einen guten Beitrag, um dem Virus die Verbreitung schwer zu machen. Verzichten Sie heute auf Ansammlungen und begnügen sich damit, allein oder mit der engsten Familie die Natur aufzusuchen. Je strenger wir Disziplin halten, umso früher können wir wieder zusammen feiern. Ich freue mich darauf, auf der Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 1. Mai 2021 wieder unter den Fördertürmen der Zeche Westfalen zu Ihnen sprechen zu dürfen.
Glück Auf!
Ihr
Dr. Alexander Berger