Entschleunigt und sicher durch die City

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Autofahrer, die noch immer mit der Einstellung unterwegs sind, Radfahrer seien ein in Kauf zu nehmendes Übel, müssen schleunigst ihre zweifelhafte Denkweise ändern. „Seit 1997 gelten Fahrradfahrer laut Straßenverkehrsordnung als fließender Verkehr“, erläuterte Stadtplanerin Angelika Schöning manch hiervon überraschtem Besucher der Bürgerinformation, die am Dienstagabend im Ratssaal stattfand.

Zweiradfahrer gehören demnach seit zwei Jahrzehnten gleichberechtigt auf die Straße und nicht versteckt in den Seitenraum von Hochborden, wo sie im rechtlichen Sinn trotz roter Fahrbahnstreifen nur als untergeordnete Gäste der Fußgänger gelten. Allein in begründeten Gefahrenlagen und bei entsprechender Beschilderung seien Radfahrer zur Benutzung der Hochborde verpflichtet, „was in Ahlen aber kaum noch der Fall ist“, wie Schöning hinzufügte.

Bis Ende des Jahres will die Stadt einen Strauß an Maßnahmen umsetzen, die zwischen der Wersebrücke an der Weststraße und dem Gebrüder-Kerkmann-Platz die Leichtigkeit des Verkehrs sicherstellen und Fahrradfahrer im Verkehrsraum sichtbar machen sollen. Die Stadt diskutierte hierzu mit ihren Bürgerinnen und Bürgern, wie neue Wege in die Innenstadt führen und stellte dazu das Konzept für eine fahrradfreundliche City vor. „Nicht über Bedenken wegbügeln, viel erklären und Öffentlichkeitsarbeit betreiben“, sei jetzt Aufgabe der Stadt, sagte Bürgermeister Dr. Alexander Berger in seiner Begrüßung der rund 50 Besucherinnen und Besucher. Die Umsetzung des Konzeptes verlange von allen Menschen in Ahlen „Gewöhnung und Zeit.“ Das Gesamtpaket wurde von den engagierten Besuchern überwiegend positiv aufgenommen.   

Maßnahmen für mehr Sicherheit
Wenn die mit Bundesmitteln in Höhe von rund 530.000 Euro geförderten Umbaumaßnahmen bis zum Jahresende abgeschlossen sind, bekommt der Abschnitt auf der sogenannten Südspange einen komplett neuen Anstrich. Kernpunkte des neuen Konzeptes sind Tempo-30-Reduzierung, Radfahrer-Schutzstreifen und Standby-Schaltungen für Fußgängerampeln. Die Weststraße soll vom Kunstmuseum bis zur Fußgängerzone zur verkehrsberuhigten Begegnungszone werden.   

Ein vollständiges Überdenken der Verkehrssituation sei aufgrund veränderter Mobilitätsgewohnheiten dringend erforderlich, schickte Bürgermeister Dr. Alexander Berger voraus. Sicherer seien Radfahrer heutzutage auf der Straße aufgehoben, „damit man sie sieht.“ Um den Radverkehr noch attraktiver zu machen, müssten unnötige Barrieren entfernt werden und die schnelle Erreichbarkeit von innerstädtischen Zielen gewährleistet sein. Die Unfallforschung habe bei Einhaltung von Sicherheitsabständen keine auffälligen Risiken für Radfahrer im fließenden Verkehr festgestellt.

Südspange wird entschleunigt
In dem kompletten Abschnitt soll nach Vorstellungen der Stadt künftig Tempo 30 gelten. „Das reglementiert den Ist-Zustand, der heute schon nicht mehr als eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 22 bis 27 Stundenklometer hergibt“, verwies Verkehrsingenieur Olaf Timm vom beauftragten Planungsbüro NTS auf Messergebnisse, die Verkehrsforscher der TH Dresden im Vorfeld der Konzeptentwicklung erhoben hatten. Die „Entschleunigung“ führe zu keinen Zeitverlusten, sondern vermeide nur unnötiges Beschleunigen und Bremsen. Auf hundert Meter verlängere sich die Fahrzeit um kaum spürbare 1 bis 4 Sekunden, ergänzte Stadtbaurat Andreas Mentz in der konstruktiven Diskussion. Die Schaltzeiten der Ampeln würden im Hinblick auf den fließenden Verkehrs neu ausgerichtet, um einen reibungslosen und störungsfreien Durchfluss zu erreichen.  

In den Kreuzungs- und Einmündungsbereichen der Südspange sollen neue Markierungen und veränderte Abbiegespuren die Ordnung und Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer erhöhen. Ein rot markierter und exklusiv von Radfahrern zu benutzender Schutzstreifen entlang des Bahnhofes wird demnächst für ein sicheres Abbiegen von Radlern in die Bahnhofstraße Richtung Innenstadt sorgen. Bauliche Veränderungen zwischen Bahnhof und Fußgängerzone teilen in Höhe des Kugelbrunnens den Verkehrsraum zwischen Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern neu auf. Hieran entzündete sich im Gespräch mit den Versammlungsbesuchern eine Kontroverse, worauf die städtischen Vertreter versprachen, noch einmal Alternativen zu überdenken.   

Ampeln auf „Standby“
Auch wer zu Fuß in der Stadt unterwegs ist, kann sich bald auf weniger Stopps an Fußgängerampeln freuen. Diese werden außerhalb der Schulzeit an der Wersebrücke, am Ostwall und am Rathaus auf „Standby“ geschaltet. Das heißt, nur bei Anforderungen gehen die Lichter an. Wenn die Straße frei ist und kein Auto kommt, können diese Überwege ohne zu warten überquert werden. „Ein deutlich höherer Komfort als heute, wo man noch teils minutenlang auf Grün warten muss, obwohl kaum Verkehr kreuzt“, so Robert Reminghorst von den Ahlener Umweltbetrieben. Wichtig sei: „Es besteht vollkommene Wahlfreiheit, ob man die Ampel einschalten möchte oder nicht.“

Mehr Aufenthaltsqualität für die Weststraße
Die regelmäßig zu den Hauptverkehrszeiten von Staus und Stillstand geplagte Weststraße wandelt sich zwischen Kunstmuseum und Beginn der Fußgängerzone zur Begegnungszone, „eine Mischung aus klassischer Fahrstraße und Fußgängerzone“, wie Andreas Mentz ausführte. Eigentümer und Geschäftstreibende hatten sich einen Tag zuvor für eine Lösung ausgesprochen, die nur noch drei Kurzzeitparkplätze und einen Behindertenparkplatz vorsieht. Auf der einheitlichen Verkehrsfläche werde künftig auch der Aufenthalt vor Cafés möglich sein, ohne durch Autos übermäßig beeinträchtigt zu werden, stellt der Stadtbaurat in Aussicht. Der Durchgangsverkehr soll die auf Tempo 20 gedrosselten Weststraße ab Jahresende meiden und besser über Kapellenstraße und Konrad-Adenauer-Ring Richtung Norden geführt werden.  

Wahlfreiheit für Radfahrer
Für alle Radfahrer, die sich daran gewöhnt haben, auf dem rot markierten Hochbord zu fahren, hatte Andreas Mentz eine beruhigende Nachricht. Sie werden dies auch nach Umsetzung aller Konzeptvorschläge weiterhin können. „Wir zerren niemanden auf die Straße“, beruhigt der Stadtbaurat. Alle Streifen werden trotz neu angelegter Schutzstreifen im fließenden Verkehr erhalten bleiben.

Skeptiker des vorgelegten Konzeptentwurfes warnte Moderatorin Prof. Dr. Stefanie Bremer vom Hamburger Planungsbüro Orange Edge, das die Stadt Ahlen bei der Erstellung des Radverkehrskonzeptes berät, vor falschen Eindrücken nach der Präsentation. „Markierungen werden auf Skizzen und Planzeichnungen immer ganz anders wahrgenommen, als es in Wahrheit der Fall ist.“ Die Erfahrung auch andernorts zeige, dass sich die Verkehrsteilnehmer sehr schnell an Veränderungen gewöhnen würden.

Mit den jetzt vorgestellten Bausteinen rundet die Stadt Ahlen das Verkehrskonzept „PedAhlen“ ab. In einem ersten Schritt waren u.a. innerstädtische Einbahnstraßen für Radfahrer gegenläufig geöffnet und neue Abstellbügel in der City aufgestellt worden.

Übersicht der vorgestellten Maßnahmen vom 9. Januar 2018.


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