Erinnerung an Kriegsgräuel wachhalten: Stadt Ahlen, Gesamtschule und Volksbund schließen Bildungspartnerschaft
(Kommentare: 0)

„Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen!“ Den vernünftigen Ratschlag des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker befolgten in dieser Woche zwanzig Schülerinnen und Schüler der Fritz-Winter-Gesamtschule.
Die jahrgangsübergreifend zusammengestellte Gruppe verbrachte vier Nächte in der Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte Lommel im Nordosten Belgiens. Mit ihren begleitenden Lehrpersonen Claudia Buchartowski und Rainer Legant erlebten die jungen Leute nicht nur Begegnungen mit gleichaltrigen Belgiern, sondern auch bewegende Gespräche, die sie mit Zeitzeugen von Holocaust und deutscher Besatzung sowie Flüchtlingen aus Afghanistan zusammenführten.
Am Mittwoch verfolgten die jungen Frauen und Männer vor dem Gräberfeld die Unterzeichnung einer Kooperationsvereinbarung, die die Fritz-Winter-Gesamtschule, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und die Stadt Ahlen geschlossen haben. Darin verpflichten sich die drei Kooperationspartner zur Zusammenarbeit bei der „Entwicklung und Förderung historisch-politischer Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern, die zur aktiven Teilhabe an den Angeboten der Geschichts- und Erinnerungskultur befähigen“, heißt es in der Vereinbarung. Der Inhalt des Übereinkommens werde mit seiner Unterzeichnung „zu einem festen und verbindlichen Bestandtteil des Schullebens“, erläuterte Schulleiter Alois Brinkkötter. Der hohe Stellenwert, den die Geschichts- und Erinnerungskultur an der Gesamtschule genieße, werde dadurch nachdrücklich unterstrichen. So nehmen Schülerinnen und Schüler regelmäßig teil am „Weg der Erinnerungen“, der jährlichen Veranstaltung zum Kriegsende in Ahlen. Auf dem Ostfriedhof haben Gesamtschüler die Patenschaft für Kriegsgräber übernommen. Ebenso unterstützten sie in zurückliegenden Jahren die Haus- und Straßensammlung des Volksbundes.
Prominente Paten der Vereinbarung sind die stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, Schul- und Bildungsministerin Sylvia Löhrmann, sowie der deutsche Botschafter in Belgien, Rüdiger Lüdeking. Beide reisten zur Unterzeichnung der Vereinbarung von Düsseldorf und Brüssel aus nach Lommel, wo Alois Brinkkötter, Volksbund-Landesgeschäftsführer Peter Bülter und Bürgermeister Dr. Alexander Berger ihre Unterschriften unter die Kooperationsvereinbarung setzten. Ahlens Bürgermeister, der in der Doppelfunktion als Vertreter des Schulträgers und örtlicher Volksbund-Vorsitzender nach Flandern reiste, betonte in seiner Ansprache, wie wichtig es sei, hierherzukommen: „Die besten Informationen gibt es hier, wer die unendlichen Gräberreihen gesehen hat, braucht kein Facebook und Co.“ Ungeschminkt erkenne man auf der Kriegsgräberstätte die Folgen von nationalistischer Verblendung und Aufstachelung zum Völkerhass. Berger nahm damit Bezug auf eine kontroverse Diskussion, die deutsche und belgische Schülerinnen und Schüler zuvor mit Ministerin, Botschafter und Bürgermeister führten. Diese drehte sich um die Frage, ob angesichts der heute multimedial verbreiteten Informationsflut die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen in Europa eher wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher geworden sei. Oberflächliche und ungeprüfte Inhalte, die über soziale Medien manipulativ verbreitet werden, machten Menschen anfälliger für Misstrauen gegenüber anderen Völkern und Nationen, lautete dabei die kritische Einschätzung der Schülerinnen und Schüler.
Dass man sich auf unserem Kontinent nicht zu sicher fühlen sollte, gab Botschafter Lüdeking den Gesamtschülern als Mahnung mit auf den Weg. „Noch vor zehn bis fünfzehn Jahren konnte sich niemand vorstellen, dass der Krieg zurückkehrt nach Europa“, mahnte er mit Blick auf den bewaffneten Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. Der Frieden dürfe nicht als etwas Selbstverständliches gesehen werde: „Dafür muss man etwas tun.“ Ein wichtiger Schritt seien die Erfahrungen, die man bei einem Besuch eines Soldatenfriedhofes mache. Begegnungen über Grenzen hinweg seien ein anderer wesentlicher Baustein der Friedenserhaltung, sagte Sylvia Löhrmann: „Wer sich kennenlernt und versteht, schießt nicht aufeinander.“ Kommunikation und Verständigung seien die Schlüssel gegen Gewalt.
Als einen ganz konkreten Auftrag aus der Kooperationsvereinbarung sehen Claudia Buchartowski und Rainer Legant die Aufgabe, die Lebensgeschichten von sieben Männern aus Ahlen aufzuklären, die auf dem Soldatenfriedhof in Lommel zur letzten Ruhe gebettet sind. In das Dunkel der Schicksale von Josef Borgmann, Ernst Reiss, Johann Günnewig, Friedrich Linke, Karl-Heinz Nossbach, Benno Pank und Hermann Pieper soll Licht kommen. „Das wollen wir recherchieren.“