Geringe Schuld kontra literarische Brandstiftung

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Sind sie für die Stadt tragbar  – die Straßennamen von Männern und Frauen mit fragwürdiger Einstellung zum Nazi-Regime? Dieser Frage gingen am Montagabend rund 50 Bürger, Verwaltungsleute und zwei Fachleute nach. Letztere, nämlich Dr. Karl Ditt und Dr. Steffen Stadthaus, befassten sich mit der Geschichte. Drei von insgesamt fünf belasteten Namen standen zur Diskussion: Karl Wagenfeld, Friedrich Castelle und Agnes Miegel wurden von den Wissenschaftlern durchleuchtet. Anschließend gab es eine leidenschaftliche Diskussion zum Thema.
 
„Karl Wagenfeld –  Dichter, Heimatfunktionär und Nationalsozialist“ lautete der Vortrag von Dr. Ditt. Der Fachmann für Westfälische Geschichte beim Landschaftsverband Westfalen- Lippe schilderte die Herkunft und Entwicklung des gebürtigen Lüdinghauseners. Früh befasste sich der 1869 Geborene mit heimatbezogener Literatur. Er schrieb kleine plattdeutsche Schwänke und entwickelte sich im Einfluss seiner ländlich geprägten Heimat neben Augustin Wibbelt zum führenden Heimatdichter. Der Erste Weltkrieg brachte eine Radikalisierung im zeittypischen Nationalismus des Dichters mit sich. Er verdammte die Auswirkung der sich zur Industriegesellschaft ändernden Umwelt auf die Menschen. Rettung sah Wagenfeld in der Aufwertung des Heimatgedankens. Eine Vorstellung, die er bis in die Nazizeit trug. Dabei entwickelte er bereits früh einen ausgeprägten Rassismus und ein Stammesdenken. Die Nazi-Ideologie kam den Vorstellungen dieses militant heimatverbundenen Mannes entgegen, der das System bis zu seinem Tod 1939 begrüßte. „Man darf Wagenfeld als einen loyalen Unterstützer des Regimes bezeichnen“, befand der LWL-Forscher.
 
Mit Friedrich Castelle und Agnes Miegel befasste sich schließlich der freiberufliche Literaturwissenschaftler Dr. Steffen Stadthaus. „Friederich Castelle, ein politischer Heimatdichter“ und „Agnes Miegel, fragwürdige Ehrung einer nationalsozialistischen Dichterin im Öffentlichen Raum“ waren die Vorträge, mit denen sich der Literaturwissenschaftler dem Thema näherte.
 
Wie sein Vorredner berichtete Dr. Steffen Stadthaus ausführlich über das Leben von Castelle und Miegel. Aufwendig arbeitete sich der Forscher durch die Lebensgeschichten, die bei Castelle eine rasche Hinwendung zum Nationalsozialismus zeigte.„Als Wortkünstler der westfälischen Literatur eilte ihm schnell ein großer Ruf voraus“, schilderte Dr. Stadthaus. Ebenfalls aus fast militanter Heimatverbundenheit entwickelte sich Castelle zu einem willigen Instrument der NS-Kunst. So trug er maßgeblich zum „Horst-Wessel-Mythos“ der Nazis bei.
Die britischen Entnazifizierungsbehörden stuften ihn als starkes Mitglied seit 1933 ein. Das tat seiner Karriere im frühen Nachkriegsdeutschland keinen Abbruch.
 
Erst spät zum NS-Regime fand die gebürtige Ostpreussin Anges Miegel. Sie trat 1940 der Nazi-Partei bei, obgleich sie bereits mit der Machterschleichung von 1933 von ihnen schwärmte. Bis zum Ende des Krieges beharrte sie auf Endsiegphantasieen und „aufrichtiger Bewunderung für den Führer“. „Ab etwa 1934 verschrieb sich Miegel der Blut und Boden-Dichtung“, berichtet Dr. Stadthaus. Damit widerlegte der Wissenschaftler Thesen der Agnes-Miegel-Gesellschaft, die ihre Rolle im Dritten Reich relativieren.
 
Bürgermeister Benedikt Ruhmöller leitete die zum Teil recht emotionale Diskussion. Hier prallten Heimatgefühle, Gewöhnung an Straßennamen, mit Überlegungen zur „political-correctness“ zusammen. „Können wir einem nachweislich belasteten Vertreter der Nazis die Ehre angedeihen lassen, eine Straße nach ihm zu benennen?“ fragte der Verwaltungschef. Was zu großem Teil im Plenum weniger politisch als vielmehr emotional aufgenommen wurde. Von Vergebung und geringer Schuld war die Rede, von literarischer Brandstiftung und Hilfe für das Unrechtregime die Gegenrede.
 
Ein Thema, das Menschen, vor allem Anwohner der betroffen Straßen bewegt, wie auch die Menschen, oder Nachkommen derer die in den zwölf Jahren des Tausendjährigen-Reiches zu Schaden kamen.
 
Autor: Peter Schniederjürgen

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