„Halbzeit“ im Amt des Bürgermeisters…
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Herr Dr. Berger, hätten Sie ohne unsere Interviewanfrage überhaupt auf dem Schirm gehabt, dass Sie „Bergfest“ feiern können?
Berger: (lacht) Ja, doch, ich hab‘ wohl dran gedacht. Kaum zu glauben, dass zweieinhalb Jahre schon um sind. Die Zeit ist verflogen, so kommt es mir vor, weil die Aufgaben auch einfach so vielfältig sind.
Mit welchen Erwartungen haben Sie damals Ihr Amt angetreten?
Berger: Ich hatte schon erwartet, dass das eine sehr spannende Herausforderung ist und dass es viel zu bewegen gibt. Wie man ja jetzt auch sieht in der Stadt, was sich alles tut. Es ist eine Zeit des Aufbruchs, wir haben viele Baustellen, es wird viel geschafft und geschaffen, überall drehen sich die Bagger. Wie ich es auch im Wahlkampf angekündigt hatte: Ich wollte dafür sorgen, dass frischer Wind reinkommt, dass es vorwärts geht in Ahlen, und ich glaube, das ist ganz gut gelungen. Ganz oben auf der Agenda stand die Beseitigung der Brachen, da sind wir ein großes Stück vorangekommen. Aber auch die Ausweisung neuer Gewerbeflächen, um unseren Unternehmen die Möglichkeit zu geben, sich am Standort weiter zu entwickeln, wie zum Beispiel Leifeld Metal Spinning, die gerade in der Nähe des blauen Wasserturms eine neue Montagehalle bauen.
Sie brachten keine politische Erfahrung mit, jedenfalls keine parteipolitische. Hat sich das eher als Vor- oder Nachteil erwiesen?
Berger: Dass man nicht in einer Partei ist, bedeutet ja nicht, dass man nicht politisch interessiert und aktiv ist. Meine früheren Tätigkeiten haben auch immer viel mit Politik zu tun gehabt, bei der Bezirksregierung oder im Innenministerium, hier gab es den Regionalrat, dort den Landtag. Und ich habe mich auch immer sehr für Politik interessiert. Aber ich glaube, gut ist, dass man ohne Parteibuch nicht so stark gebunden ist und freier, unabhängiger agieren kann. So steht eigentlich immer die Sache im Vordergrund und nicht irgendein Parteiwille, dem man sich zu unterwerfen hat.
Aber Sie verfügen über keine Hausmacht im Rat, müssen sich Mehrheiten suchen.
Berger: Ja, das ist richtig. Aber unser Stadtrat ist so vielfältig aufgestellt, dass ich es ohnehin als notwendig und sachdienlich erachte, zu versuchen, möglichst breite Mehrheiten für bestimmte Themen und Projekte zu gewinnen. Da kommt es auf die Überzeugungskraft der Sachargumente an. Und selbst wenn ich eine sichere Mehrheit im Rat hinter mir hätte, wäre es trotzdem immer wichtig und richtig, die ganze Stadtgesellschaft mitzunehmen. Die meisten Beschlüsse im Rat werden ja auch einstimmig gefasst.
Dennoch werden Sie in der Öffentlichkeit als der CDU mindestens nahestehend wahrgenommen. Stört Sie das?
Berger: Nein, das stört mich überhaupt nicht. So bin ich ja auch angetreten 2015, dass ich gesagt habe, ich habe eine christliche, bürgerliche Werteorientierung. CDU und FDP haben mich im Wahlkampf unterstützt, aber ich bin Bürgermeister aller Ahlenerinnen und Ahlener, und ich hoffe, das hat man in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren auch gespürt, dass ich mich nicht von Parteiinteressen leiten lasse, sondern immer der Sache dienen will und versuche, Ahlen voranzubringen.
Wenn das so ist, dürften Sie auch gegenüber den Linken keine Berührungsängste haben. Warum haben Sie aber vergangenen Freitag nicht an der von Reiner Jenkel initiierten Kundgebung gegen die AfD teilgenommen?
Berger: Herr Jenkel kann bestätigen, dass ich auch mit den Linken immer offen umgehe. Was die Kundgebung angeht, haben wir uns als Verwaltung und ich auch als Bürgermeister zurückgehalten, weil ich finde, wir haben bei der ersten großen Demonstration, als die AfD zum ersten Mal massiv in Ahlen aufgetreten ist, ein starkes Zeichen gesetzt, als alle Alt-Bürgermeister da waren, die ganze Stadtgesellschaft auf den Beinen war. Da haben wir deutlich gemacht, was wir von solchen Veranstaltungen in Ahlen halten. Das ist aus meiner Sicht nicht beliebig reproduzierbar. Und zudem besteht immer die Gefahr, dass man denen einen großen Bahnhof bereitet, die ja gerade darauf abzielen, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erlangen. Ahlen ist eine Stadt, in der politischer und religiöser Extremismus keinen Platz haben.
Man hat den Eindruck, die AfD will sich in Ahlen einnisten, jedenfalls in der Stadthalle. Das kann Ihnen doch nicht gefallen.
Berger: Das Parteien- und das Grundgesetz sind da eindeutig, wir haben keine Möglichkeiten, solche Veranstaltungen zu verhindern. Und ansonsten müssen wir uns inhaltlich mit den Rechtspopulisten auseinandersetzen. Man muss Antworten finden auf die Fragen, die viele Menschen an die Politik haben, im Bund und im Land, aber auch wir hier vor Ort. Wir müssen uns um die Menschen kümmern, wir müssen genau hinhören und uns ihrer Probleme annehmen. Und wenn wir das schaffen, umso weniger wird es den ganz Linken oder ganz Rechten gelingen, Unzufriedenheit zu schüren. Deshalb habe ich es als gutes Zeichen gewertet, dass so wenige Ahlener bei der Veranstaltung mit Herrn Höcke waren, der Großteil kam ja von auswärts.
Noch mal kurz zurück zur CDU. Auf deren Parteitag im September vergangenen Jahres hat der Stadtverbandsvorsitzende Peter Lehmann Sie schon zum Bürgermeisterkandidaten für die Wahl 2020 ausgerufen. War das mit Ihnen abgesprochen?
Berger: Ich habe mich erst mal über die Anerkennung meiner Arbeit gefreut, die darin zum Ausdruck gekommen ist. Die Ankündigung von Peter Lehmann war vermutlich ein wenig auch der Euphorie der Stunde geschuldet nach der überraschend deutlich gewonnenen Landtagswahl. Aber zum jetzigen Zeitpunkt schon über eine Kandidatur 2020 zu reden, ist sicher verfrüht. Meine Absicht ist es, auch in den nächsten zweieinhalb Jahren weiter gute Arbeit zu machen, für Ahlen etwas zu bewegen. Und dann werden die Bürgerinnen und Bürger schon von ganz alleine darauf kommen, ob ich mich erneut zur Wahl stellen will. Mir macht das Amt jedenfalls sehr viel Freude, es ist eigentlich der schönste Job, den ich mir vorstellen kann.
Trotz der großen zeitlichen Beanspruchung und dem hohen Erwartungsdruck, der auf einem Bürgermeister lastet? Sie können auch nicht unerkannt durch die Fußgängerzone gehen.
Berger: Aber der direkte Kontakt zur Bürgerschaft ist für mich doch das Wichtigste überhaupt. Um zu erfahren, wo die Bürger der Schuh drückt, was sie von Politik und Verwaltung erwarten, muss ich ihnen zuhören, muss ich präsent sein. Aber es stimmt schon, Bürgermeister ist man rund um die Uhr, repräsentative Termine sind überwiegend abends oder am Wochenende. Da muss das Privatleben manchmal zurückstehen.
Worauf sind Sie besonders stolz im Rückblick auf die erste Hälfte Ihrer Amtszeit?
Berger: Stolz, wenn man das so sagen kann, bin ich auf den Zusammenhalt in Ahlen. Nehmen Sie die Flüchtlingsthematik, was da geleistet wurde und wird von so vielen Institutionen, Vereinen und einzelnen Bürgern, finde ich großartig. Und wie die Bevölkerung jetzt auch mitzieht bei den ganzen Großprojekten, auch wenn es kurzfristig unvermeidbar ist, vor der Baustellenampel zu warten oder längere Umwege in Kauf zu nehmen.
Ungeduldig könnten die Bürger allerdings allmählich werden, weil es in der Rathausfrage immer noch keine Entscheidung gibt. Wann werden Sie denn nun den Plan B, die Alternative zur Sanierung von Rathaus und Stadthalle, vorlegen?
Berger: Sie können sicher sein, dass nicht nur Plan B im Sommer vorliegen wird, sondern dass wir auch in diesem Jahr zu einer Entscheidung kommen werden. Wir sind dabei, zwei Alternativen vorzubereiten, die beide ökonomisch und langfristig tragfähig sind. Dann müssen Politik, Verwaltung und Bürgerschaft entscheiden, welcher Weg der bessere ist, die Sanierung der bestehenden Gebäude oder der Neubau eines „Rathausquartiers“ an geeigneter Stelle, und diesen Weg müssen wir dann gemeinsam gehen, da brauchen wir dann auch wieder einen möglichst breiten Konsens. Deshalb wollen wir das jetzt gründlich vorbereiten und für mich gilt ganz klar: Sorgfalt vor Schnelligkeit.
Für den Fall eines Neubaus planen Sie auf jeden Fall mit Stadthalle?
Berger: Die Stadthalle steht für mich überhaupt nicht zur Disposition. Sie ist absolut unverzichtbar für das kulturelle und gesellschaftliche Leben in Ahlen.
Wird es mehrere Standortvorschläge für einen möglichen Neubau geben oder nur einen?
Berger: Wir sind wie gesagt noch dabei, das alles zu sondieren, aber wenn es nach meiner Präferenz geht, möchte ich dann am Ende eigentlich nur noch einen Standort vorschlagen.
Und Ihre Präferenz in der Grundsatzfrage . . . ?
Berger: (lacht) Ich habe natürlich eine, und die wird sich dann auch deutlich zeigen, wenn wir den Beschluss zur Abstimmung stellen. Aber erst mal sind die Rathauskommission, die Ausschüsse und der Rat am Zug.
Haben Sie denn ein Bauchgefühl, wohin die Reise gehen wird?
Berger: Ja, ein gutes Gefühl!
Mehr können wir Ihnen heute wohl nicht entlocken, also wechseln wir mal das Thema. Osttangente und B 58n – wie ist da der Stand?
Berger: Zunächst mal ist es grundsätzlich wichtig, dass solche Straßenbauvorhaben als wichtige Infrastrukturprojekte für Ahlen gesehen und angegangen werden, wenn wir die Verkehrsbelastung in der Innenstadt reduzieren und die Rahmenbedingungen für neue Unternehmensansiedlungen verbessern wollen. Die B 58n ist nach meiner Einschätzung erst einmal in weitere Ferne gerückt. Für die Osttangente besteht durchaus noch eine realistische Chance. Aber auch da müssen jetzt erst noch ein paar Hausaufgaben gemacht werden, bevor wir der Politik eine belastbare Planung vorlegen können. Es gab ursprünglich mal eine andere Beschlusslage des Rates zur Osttangente, diese nicht weiterzuverfolgen, aber jetzt haben wir einen neuen Prüfauftrag, und den nehmen wir sehr ernst. Nicht nur für die Anbindung der Zeche hätte eine Osttangente jedenfalls aus meiner Sicht positive Effekte.
Letztlich liegt der Ball in Düsseldorf. Sind Sie eigentlich mit der Unterstützung durch das Land, aber auch den Bund zufrieden oder wo würden Sie sich noch mehr wünschen?
Berger: Grundsätzlich ist es gut, wenn finanzielle Spielräume erweitert werden. Wo wir das Geld sinnvoll ausgeben, das wissen wir nachher am besten. Aber um auf Ihre Frage konkret zu antworten: Finanziell, gerade im Bereich der Flüchtlingsunterbringung und -integration, würde ich mir durchaus noch mehr Unterstützung von Land und Bund wünschen. Wir bräuchten insbesondere mehr Verlässlichkeit im OGS-Bereich und in der Kita-Finanzierung.
Die Etatberatungen des vergangenen Jahres glichen teilweise einem Wunschkonzert, statt Einsparungen vorzunehmen, haben CDU und SPD noch ordentlich bei den Ausgaben draufgesattelt. Ist das Ziel, 2020 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, überhaupt realistisch, wenn die Politik in die Gegenrichtung rudert?
Berger: Wir haben ja von der Verwaltung unser Sanierungskonzept vorgelegt, und da haben wir auch einige Tabus angesprochen . . .
. . . aber die Vorschläge werden doch vom Rat nicht aufgegriffen, wie zuletzt, als es um die Reduzierung der Zahl der Ratsmitglieder ging.
Berger: Ja, so ist das. Da würde ich mir auch manchmal mehr Rückendeckung wünschen, auch wenn‘s unbequem wird. Darüber hinaus bin ich aber nach wie vor zuversichtlich und einig darüber mit dem Kämmerer, dass wir die Schwarze Null 2020 erreichen können, denn wir wirtschaften schon sehr besonnen und sparsam. Wenn wir investieren in die Schulen, in die Infrastruktur, dann sind das keine Dinge, die ,nice to have‘ sind, sondern notwendig, um nicht irgendwann den Sanierungsstau gar nicht mehr auflösen zu können.
Von Personaleinsparungen bei der Verwaltung ist gar keine Rede mehr.
Berger: Man muss auch mal sehen, wie die Rahmenbedingungen sind. Um uns herum, überall wird Personal aufgestockt im öffentlichen Dienst, beim Kreis, beim Land. Auch unsere Aufgaben haben deutlich zugenommen, um ein Haushaltsvolumen von aktuell mehr als 130 Millionen Euro zu drehen, braucht man Leute. Und dem Kampf um gute Mitarbeiter, um Fachkräfte, dem müssen wir uns auch stellen. Die Wirtschaft boomt, wir sind nahe an der Vollbeschäftigung, da ist es ganz schön schwierig, gute Leute zu akquirieren. Natürlich unterliegt der Personalbereich gewissen Restriktionen, aber die Kosten in diesem Bereich gegenüber früheren Jahren signifikant zu senken, im Bereich von zehn Prozent oder so, das halte ich nicht für realistisch.
Bei der Haushaltsverabschiedung im Dezember mussten Sie sich teilweise harsche Kritik von einigen Rednern anhören. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Frau Pähler-Paul, hat Ihnen einen Mangel an politischer Führung und Entscheidungsschwäche etwa in der Rathausfrage vorgeworfen, ähnlich hat sich Herr Artmann von der FWG geäußert. Hat Sie das getroffen?
Berger: Gegen sachliche Kritik ist ja nichts einzuwenden. Aber ob sie in dieser Form berechtigt ist, möchte ich mit einem Fragezeichen versehen. Weil wir eben, wie aufgezeigt, während meiner bisherigen Amtszeit viele Projekte umgesetzt haben, das Meiste mit breiten Mehrheiten verabschiedet haben. Ich versuche stets zu moderieren, aber in wichtigen Punkten muss ich natürlich auch eindeutig Farbe bekennen, klare Kante zeigen, nur, das hebe ich mir dann für die wirklich wichtigen Themen auf, wie die schon erwähnte Stadthalle. Die ist für mich unverzichtbar, und da geht auch kein Weg dran vorbei. Aber wenn man zu oft auf den Tisch haut, nutzt sich das auch ab.
Was haben Sie sich vorgenommen für die zweite Hälfte Ihrer Amtszeit, was bleibt noch zu tun?
Berger: Genügend. Die Brachen sind nach wie vor ein Thema, die möchte ich weiter zurückdrängen, mit den neuen Eigentümern gute Konzepte entwickeln. Und auch auf die die Einweihung unseres neuen Baubetriebs- und Wertstoffhofes im nächsten Jahr freue ich mich schon jetzt. Die Flüchtlingsintegration wird nach wie vor eine ganz spannende Aufgabe sein, wir müssen die Menschen nicht nur unterbringen, sondern auch in unserer Gesellschaft ankommen lassen. Darüber hinaus den Zusammenhalt in der Stadt und das Selbstbewusstsein weiter stärken, zeigen, dass Ahlen wirklich die Stadt Nummer 1 im Kreis Warendorf ist. Das muss ablesbar sein im Bildungsangebot beispielsweise, da haben wir jetzt das Schulnetz, die Digitalisierung, auf den Weg gebracht. Da müssen wir Vorreiter sein. Das ist mein Anspruch, dass man über Ahlen positiv spricht und gerne hier lebt.