Hausärzte spüren Druck in ihren Praxen
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„Die Lage ist angespannt, unabhängig von Corona“, so Dresen. Diejenigen, die für die Gesundheit der Menschen sorgen, arbeiteten bis zum Anschlag und sähen unter dem zunehmenden Druck im Gesundheitssystem ihre Kräfte schwinden.
Erst im August sei in Ahlen wieder eine große Hausarztpraxis vom Netz gegangen. „Wenn man so rechnet, sind in den letzten Jahren in Ahlen mehr als ein halbes Dutzend Hausärzte ohne Nachfolger aus der hausärztlichen Versorgung verschwunden.“ Die Folge der Schließung: „Weit mehr als 1000 teils chronisch kranke Menschen ohne Anbindung an einen Hausarzt“, konstatiert Dresen. Kaum verteilbar auf die restlichen Praxen sei der dadurch ausgelöste Ansturm, mit dem man so nicht habe rechnen können. Im kommenden Frühjahr stehe zu befürchten, dass eine weitere Hausarztpraxis ihre Pforten schließen werde, weil der Kollege ohne Nachfolger in den wohlverdienten Ruhestand gehe. Zu den steigenden Patientenzahlen in den Praxen kämen dann noch ständig neue organisatorische Zumutungen aus dem gesundheitspolitischen Bereich. Ohne Scheu drückt Anja Dresen den Frust, den sie und ihre Kollegen schieben, drastisch aus: „Wir drehen langsam am Rad.“
Als seien Praxissterben und bürokratische Lasten nicht schon schlimm genug, setze nun noch die Corona-Pandemie eins obendrauf. Viele Praxen sind baulich nicht auf die Situation eingestellt. Nur wenige der Hausarztpraxen böten unter Aspekten des Infektionsschutzes wirklich gute Voraussetzungen für Corona-Testungen, die übrigen improvisieren: „Ich hab den Drive-In erfunden“, scherzt Maria Voß. Auf dem Parkplatz führte sie nach Praxisschluss Tests durch. Denn die Tests können nicht „mal eben so nebenbei“ gemacht werden. Lorenz Wefers: „Ein Drittel aller Patienten, die sich bei mir einem Test unterziehen, sind positiv“. Jede Testung sei mit hohem hygienischen Aufwand verbunden, „denn jeder Test muss so durchgeführt werden, als sei er positiv.“
Noch unüberschaubar sei die Anzahl der Testwilligen, die nach Meinung der Hausärzte vor Weihnachten auf die Praxen zukommen könnte: Menschen, die keine Symptome haben und das Fest im Kreise der Familie feiern wollen, ohne ihre Angehörigen zu gefährden. Diese Menschen fragten bereits jetzt in den Praxen nach, wo sie einen Test herbekommen. Da es sich nicht um kranke Menschen handele, läge die Testung dieser außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der hausärztlichen Versorgung. Die Kosten sind ausdrücklich auch nicht durch die Krankenversicherung gedeckt. „Auch wenn ich die Sorge der Menschen verstehen kann, lehne ich solche Tests ab - ich behandele nur Kranke und für die muss ich meine Kapazitäten freihalten“, vertritt Hausarzt Lorenz Wefers einen sehr entschiedenen Standpunkt. „Die ohnehin schon überlasteten Telefonleitungen in unserer Praxis werden durch solche Anfragen weiter strapaziert“, bemerkt Maria Voß. Die drei Ärzte sind sich einig: Für alle Praxen wäre es eine große Erleichterung, gäbe es für asymptomatische Personen einen anderen Weg, den gewünschten Coronatest zu machen.
Vieles spreche nach Meinung der Anwesenden Hausärzte auch deswegen für eine Teststelle, in der medizinisch versiertes Personal gegen einen überschaubaren Kostenbeitrag von circa 30 bis 35 Euro prophylaktisch Schnelltests durchführen könnte. Auch besorgte Menschen ohne Krankheitssymptome, die vielleicht einen mittelbaren Corona-Kontakt hatten und somit nicht in den Zuständigkeitsbereich des Gesundheitsamtes oder der gesetzlichen Krankenkassen fallen, könnten sich gegebenenfalls dort testen lassen, ohne die Behandlungskapazitäten in den Hausarztpraxen überzustrapazieren. Für die Stadt Ahlen könnte eine solche Lösung „hoch interessant“ sein, sagt Bürgermeister Berger zu dem Vorschlag, dessen Realisierung er nun prüfen lassen will. Bei den in Aussicht stehenden Coronaschutzimpfungen sind Dresen, Voß und Wefers optimistisch, dass sich auch im Kreis der niedergelassenen Hausärzte trotz angespannter Versorgungssituation einen breite Unterstützung der Impfmaßnahmen findet. „Ich glaube, das könnte jeder für einen begrenzten Zeitraum hinbekommen“, zeigt sich Anja Dresen zuversichtlich, was die Bereitschaft ihrer Kolleginnen und Kollegen angeht. „Umso eher sind wir Covid-19 wieder los.“
Während die Corona-Pandemie in nicht mehr ferner Zukunft hoffentlich nur noch als Kapitel in Geschichtsbüchern behandelt werden wird, wird die schon heute drängende Frage nach der Versorgung mit Hausärzten in mittleren Städten bleiben. „In Westfalen-Lippe sind ein Fünftel der Hausärzte über 65 Jahre alt, weitere 20 Prozent über 60“, zitiert Anja Dresen zu denken gebende Zahlen. Mit dem traditionellen Konzept „Hausarzt mit Praxis“ allein werde man über kurz oder lang nicht mehr die Versorgung der Menschen sicherstellen können, davon sind Voß, Dresen und Wefers überzeugt. Ob die Zukunft in kommunal oder privat betriebenen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) liegen könnte, bleibe abzuwarten. Dass angestellte Ärzte sich dort - auch halbtags - ganz ihrer Expertise verschreiben und den Patienten widmen könnten, ohne dabei unternehmerische Verantwortung tragen zu müssen, sei sicherlich ein interessanter Aspekt, der bei akzeptablen Arbeitsbedingungen eine Perspektive bieten könnte.
Kommunalpolitisch werde er die Frage der hausärztlichen Versorgung in den kommenden Wochen und Monaten auf die Tagesordnung bringen, versicherte Bürgermeister Berger seinen Gesprächsgästen abschließend. Wolle Ahlen seine Position erhalten als „Stadt der Gesundheit“, die von einem ausgeprägten medizinischen und therapeutischen Sektor geprägt sei, müssten jetzt die Weichen gestellt werden für Versorgungs- und Planungssicherheit.