Hier darf gemeckert werden: Naturnaher Hochwasserschutz in Ahlen

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Auf einen Schlag gleich 200 neue Beschäftigte haben die Ahlener Umweltbetriebe (AUB) in Dienst gestellt. Eingesetzt in der Unterhaltung von Anlagen zum Hochwasserschutz, leisten sie einen unverzichtbaren Beitrag zur Sicherheit der Menschen in Ahlen.

„Einziger Nachteil ist, dass sie ständig meckern“, scherzt stellvertretender Umweltbetriebsleiter Robert Reminghorst und wird gleich von Schäfer Karl Große Kleimann korrigiert: „Die sind eigentlich still und machen nur zweimal am Tag Theater. Wenn wir kommen und schauen, ob alles in Ordnung ist.“ Es sind nämlich keine menschlichen Fachkräfte, die im Hochwasserrückhaltebecken an der Bergamtsstraße das Gras flachhalten, sondern fleißige Weideschafe aus dem Ahlener Schäfereibetrieb Große Kleimann. Unterstützung bekommen die Schafhüter von Asta, dem „Harzer Fuchs“, der als Hütehund verlässlich das Kommando über die Herde führt.  

Etwa fünf Tage brauchen die Hufentiere, bis sie in aller Ruhe und Gemütlichkeit die Wiese abgefressen haben, danach geht es weiter auf eine der fünf anderen Hochwasserschutzflächen, die die Stadt Ahlen mit vierbeiniger Hilfe unterhält. Ist die letzte Wiese dran gewesen, geht’s mit der ersten wieder von vorne los. Eine Menge Erkenntnisse haben die AUB in den letzten fünf Jahren mit Schafen im Hochwasserschutz gesammelt. „Radfahrer werden sie kennen von der Deichanlage an der Alten Beckumer Straße, dort ist der testweise Einsatz sehr erfolgreich verlaufen“, berichtet Reminghorst. Von den guten Erfahrungen ermutigt, hatte der Betriebsausschuss der Stadt Ahlen im letzten Jahr beschlossen, die Bewirtschaftung durch Schafe ganzjährig im Stadtgebiet auszuweiten. „Zu keiner Zeit wird es mehr Konflikte mit den Brutgeschäften von Bodenbrütern geben“, nennt Reminghorst einen großen Vorteil der sanften Beweidung. Insbesondere um Kiebitze, die mit Vorliebe auf den unberührten Flächen ihre Aufzucht großziehen, machen Schafe einen großen Bogen. Johannes Große Kleimann, der in Kürze den Familienbetrieb von seinen Eltern Karl und Carola übernehmen wird, weiß warum: „Die riechen die Nester und gehen davon weg.“ Bis in den Winter hinein bleiben die Schafe auf den städtischen Rückhaltebecken. Frühestens, wenn die ersten Lämmer kommen, geht es zurück in den heimischen Stall.

„Im Vergleich zu einer maschinellen Bewirtschaftung ist das neue Konzept nicht nur vogelfreundlicher, sondern auch klimaneutral“, betont Ahlens Klimaschutzmanagerin Anna Shalimava. Hinzu kommt, was viele Urlauber von Spaziergängen an der Nordseeküste kennen: Schafe tragen bei zur Verdichtung der Böschungen, was für den effektiven Hochwasserschutz unverzichtbar ist. Kaum einen Deich gibt es an der See, der nicht regelmäßig von Schafen Besuch erhält. Trotz vollem Einsatz, den die Schafe zeigen, muss einmal im Jahr eine mechanische Mahd mit dem Mulcher vorgenommen werden. Schafe sind nämlich durchaus Feinschmecker und wählerisch. „Ich nehme auch nur den Teller, der mir schmeckt“, vergleicht es Karl Große Kleimann. Gras, das stehengeblieben ist, verliert sein „Aroma“ und wird nur noch plattgetreten. Die notwendige Nacharbeit passiert aber erst dann, wenn die Brutzeit der Vögel beendet ist. 

Nicht nur die Natur freut sich über die Schafherde, auch den Nachbarn gefällt es, wenn hinterm Haus die in dichtes Wollkleid gehüllten Tiere auftauchen. „Wir haben noch nie Schlechtes gehört“, ist Carola Große Kleimann dankbar für das positive Image, das die Schäferei in Ahlen genießt. „Aus jedem Haus hören wir, ach wie schön!“ Am schönsten sei es immer dann, wenn Familien mit kleinen Kindern vorbeikämen, um sich an den Schafen zu erfreuen. Schließlich sei das ein Anblick, der heutzutage schon Seltenheitswert habe.

Hintergrund:
Die Ahlener Umweltbetriebe unterhalten im Zuge der Stadtentwässerung mehrere Regenrückhalte-, Regenklär- und Hochwasserrückhaltebecken innerhalb und außerhalb der geschlossenen Wohnbebauung. Die Funktion der Becken darf in keinem Falle beeinträchtigt werden, um Gefahren für Mensch und Umwelt bestmöglich zu vermeiden. Wichtig ist dabei auch der Rückschnitt von Pflanzen und Gräsern, nicht zuletzt auch, damit Ungeziefer keine Chance hat. Naturnah unterhalten werden die Schutzbauwerke nicht nur durch die Bewirtschaftung mit Schafen. An anderen Stellen sind Blühwiesen angelegt worden, was die Artenvielfalt in Fauna und Flora fördert und das ökologische System stärkt. Becken, in denen dieses Prinzip gilt, werden nur noch einmal jährlich in den Wintermonaten statt mehrmals im Jahr geschnitten. So können nicht nur Insekten sondern auch Bodenbrüter und Kriechtiere ihre Habitate ohne große Störungen besiedeln.

Woanders praktizieren die AUB den Teilflächenschnitt, wo Bauwerke im Uferbereich einem mehrmaligen Schnitt im Laufe des Jahres unterzogen werden. Auf diese Weise kommt es an dieser Stelle zu keinem Konflikt mit den Brut- und Setzzeiten. Die Arbeits- und Wegflächen sowie die wasserführenden Gerinne müssen dauerhaft freigehalten werden, um die Funktionsweise der Becken weiterhin zu gewährleisten. Zudem werden an Becken, wo es möglich und sinnvoll ist, Windschutzpflanzungen angelegt, welche dann ca. alle 10 Jahre sukzessiv auf den Stock gesetzt werden. Dies fördert die Artenvielfalt an den Becken. 

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