30 Zentimeter, die den Unterschied ausmachen können
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Viele Menschen in Ahlen fühlen in ganz besonderer Weise mit den Geschädigten, die an Ahr, Rur und Volme Hab und Gut verloren haben. Zahlreiche Todesopfer und verwüstete Landstriche zeugen von der grausamen Gewalt, zu der der Lebensspender Wasser auch fähig ist.
„Uns war wohl das Glück der Tüchtigen hold“, atmet Robert Reminghorst, stellvertretender Leiter der Ahlener Umweltbetriebe (AUB) angesichts der aktuellen Situation hörbar auf. Nicht nur, dass vor zwei Jahrzehnten in Ahlen keine Menschenleben zu Schaden kamen. Das historische Niederschlagsgebiet, welches in dieser Woche über Mitteleuropa rotierte, meinte es mit der Wersestadt offenbar gut. Mäßig fielen die Wassermengen aus, die über Ahlen niedergingen. „In Beckum sah die Sache schon ganz anders aus“, hörte Reminghorst von zahlreichen Einsätzen der dortigen Feuerwehr. Ahlen und Beckum sind wassertechnisch auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden. Was in der Nachbarstadt in die Werse fließt, will kurz darauf auch durch Ahlen. Dass die Pumpen in Ahlen jedoch nicht angeworfen werden mussten, hat zum Teil mit den Hochwasserschutzmaßnahmen zu tun, die die Stadt Ahlen in Folge des 2001er-Ereignisses traf.
So konnte sich ein Großteil des im Oberlauf der Werse ins Gewässer gelangten Niederschlags auf Retentionsflächen verteilen, die links und rechts des renaturierten Flusses entstanden sind. Endgültig gebrochen wurde die Welle an der Alten Beckumer Straße. Das als Antwort aufs Ahlener Hochwasser gebaute Sperrwerk erfüllte seine Aufgabe fehlerfrei, stellt Thomas Kröger erleichtert fest: „Das Wasser wäre sonst stumpf durchgerauscht bis Rubberts Mühle.“ 1,50 Meter zeigte der Pegel bei Zulauf. Vollautomatisch sprang die Technik zweimal an und regulierte den Ablauf auf 1,20 Meter herunter. „Das sind die 30 Zentimeter, die den Unterschied ausmachen können, ob Keller trocken bleiben oder leergeschöpft werden“, so der AUB-Leiter von Kanalbetrieb und Kläranlage. Im Vergleich: Der normale Pegel beträgt im Jahresmittel bei Durchfluss unbedenkliche 20 bis 40 Zentimeter.
Aktiv geworden sind die AUB bereits zu Wochenanfang, als die ersten Wetterhinweise und Warnungen vor erheblichem Niederschlag kursierten. Außerhalb des regelmäßigen Turnus seien „die neuralgischen Punkte“ an Regeneinläufen kontrolliert worden, erklärt Reminghorst. „Die befinden sich unter Brücken oder auch an Straßen mit Bäumen, die stark Blüten abwerfen.“ Der ordentliche und ungestörte Regenablauf in die Kanäle sei das eine, um die Häuser trocken zu halten. „Das andere sind Schutzmaßnahmen, die jeder selber treffen kann.“ Reminghorst empfiehlt Hausbesitzern den Einbau von Rückstauklappen. Die verhindern bei Starkregen, dass im Kanal aufgestautes Wasser den Weg zurück ins Haus findet.
Illusionen gibt sich Robert Reminghorst indes nicht hin. Um die zerstörerische Kraft des Wassers zu bändigen, könne heutzutage bautechnisch zwar einiges unternommen werden. Bei solch verheerenden Jahrhundertereignissen wie aktuell würde aber auch die beste Ingenieurskunst nichts helfen. „Die Natur ist immer stärker.“