Kinderschutzwochen im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD)

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„Kinderschutz geht uns alle an!“ Unter diesem Motto stehen die Wochen des Kinderschutzes 2022 in Ahlen, initiiert durch das städtische Jugendamt. Ein Gespräch zum Thema mit Bürgermeister Dr. Alexander Berger.

Was hat Sie dazu bewegt, die Wochen des Kinderschutzes für das Jahr 2022 auszurufen? 

Kinderschutz ist das vielleicht wichtigste Thema jeder Stadtgesellschaft. Wir in Ahlen nehmen es sehr ernst und wollen nicht erst dann tätig werden, wenn es zu spät ist. Im besten Fall möchten wir präventiv ansetzen, wenn Eltern schon vorgeburtlich auf ihre Aufgaben vorbereiten werden. Die Begleitung sollte alle Lebensphasen junger Menschen umfassen. Darin sind wir im Zusammenspiel mit freien Trägern innerhalb der Ahlener Präventionskette sehr aktiv. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es rund um den Schutz von Kindern noch viele Unsicherheiten, Wissenslücken und Ängste auch in Ahlener Einrichtungen gibt. Die Fälle in Lügde und Münster haben gezeigt, dass im Bereich des Kinderschutzes noch viel zu tun ist, trotz aller in den letzten Jahren schon veranlassten Verbesserungen. Zudem verzeichnen wir auch in Ahlen einen Anstieg von Meldungen über Kindeswohlgefährdungen. Gewalt hat viele Formen. Von sichtbarer körperlicher Gewalt bis hin zur psychischen Gewalt, die erst bei genauerem Hinschauen zu erkennen ist. Wer mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, wird immer öfter mit Verdachtsfällen konfrontiert.
 
Corona hat die Situation sicherlich nicht einfacher gemacht.

Viele Augen richteten sich zurecht auf ältere und gesundheitlich vorbelastete Menschen. Pandemie und Lockdowns haben aber auch viele Familien an ihre Grenzen stoßen lassen. Eltern und Kinder sind seit zwei Jahren extrem gefordert und belastet. In diesen besonderen Zeiten lassen wir Familien nicht alleine. Das ist der Grund, aus dem wir jetzt das Thema Kinderschutz in den Fokus rücken. 

Was wünschen Sie sich ganz persönlich, wie Kinderschutz zu einem Thema wird, das alle angeht?

Als Bürgermeister der Stadt Ahlen möchte ich, dass alle Kinder in unserer Stadt glücklich aufwachsen. Ich bin selber Vater von zwei Söhnen, und ich weiß, wie wichtig ein stabiles und gesundes Umfeld in jungen Jahren ist. Gemäß dem Motto „Kinderschutz geht uns alle an“ wollen wir die Menschen in Ahlen für Anliegen des Kinderschutzes sensibilisieren. Das fängt schon damit an, Kinder über ihre eigenen Rechte aufzuklären. Sie brauchen sich nicht alles gefallen zu lassen und müssen bestärkt werden, auch deutlich „Nein!“ zu sagen. Vor allem dann, wenn es um übergriffiges Fehlverhalten Erwachsener geht. Die Kinderschutzwochen wenden sich im Grunde genommen an alle Bürgerinnen und Bürger, die Kindern in ihrem sozialen Umfeld begegnen. Ganz besonders am Herzen liegen uns Fachkräfte, die beruflich mit Kindern zu tun haben und in vielen Fällen erste Hinweise auf gefährdetes Kindeswohl wahrnehmen. 

Wünschen Sie sich, dass die kommunale Politik sich mehr dem Thema zuwendet?

Ich wünsche mir, dass auf allen Ebenen das Bewusstsein für die Notwendigkeiten im Kinderschutz vorhanden ist. Das schließt auch die Politik ein, die am Ende die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen muss. In meiner letzten Haushaltsrede habe ich einen Schwerpunkt auf diese Aufgabe gelegt. Die größten Verlierer waren in den beiden letzten Corona-Jahren die Familien, waren die Kinder. Ich habe den Wunsch geäußert, dass über den Bedarf an Hilfen in unserem Hause Konsens besteht. Zu reparieren ist immer teurer als zu unterhalten. Das gilt fürs Auto, das gilt fürs Haus, aber erst recht gilt das auf dem sozialen Entwicklungsweg junger Menschen.  Ich habe das an einem Beispiel versucht deutlich zu machen. Angenommen, wir verzichteten auf die Willkommensbesuche junger Eltern, die mit gut 50.000 Euro im Etat veranschlagt sind. Dann drohte ein Frühwarnsystem für Kinderschutz auf niedrigschwelliger Ebene fortzufallen. In der Folge resultierten prognostizierbare Mehrarbeit für die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sozialfachbereich und Mehraufwendungen bei den erzieherischen Hilfen. Ich bin froh, dass eine Mehrheit im Rat meiner Überzeugung folgt, und unserer gemeinsamen Verantwortung Rechnung trägt.

Entsprechen dem vorhandenen Bewusstsein in Politik, Verwaltung und Institutionen auch tatsächliche Ausstattung und gesetzliche Regelungen, damit Kinderschutz sichergestellt ist? 

Kinderschutz ist Daueraufgabe und wesentlicher Tagesordnungspunkt auch im nächsten Jugendhilfeausschuss am 4. April. Bund und Land sind gegenwärtig sehr engagiert, neue rechtliche Rahmen zu finden. So gibt es seit letztem Jahr das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz. Kindeswohl und Kinderschutz ziehen sich wie ein roter Faden durch das Gesetz, das die  Rechte der Kinder und Jugendlich stärkt, die nicht bei ihren Eltern sondern in einer Pflegefamilie aufwachsen.  

Erfreulich ist zudem das Signal des Landes, ein eigenes Kinderschutzgesetzes zu schaffen. Erfreulicherweise stammt einer der wesentlichen Ratgeber des Landes aus Ahlen. Prof. Dr. Dirk Nüsken von der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe hat der Kinderschutzkommission des Landtages ein Gutachten vorgelegt, das unter anderem die Schaffung von Kinderschutzbedarfsplänen fordert. Ich unterstütze diese Forderung sehr, da sie die Kommunen ähnlich wie beim Brandschutz oder bei Kitas zu regelmäßiger Überprüfung anhält, ob die personellen und sachlichen Voraussetzungen für funktionierende Aufgabenerfüllung noch gegeben sind und was perspektivisch zu tun ist.    

Als „Herzkammer“ des Kinder- und Jugendschutzes gilt der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) im Jugendamt. 

Um im Bild zu bleiben: Das Nüsken-Gutachten, das mir sein Verfasser Ende letzten Jahres vorgestellt hat, empfiehlt vielen Jugendämtern einen Herzschrittmacher. Im Landesschnitt sind die ASD meist nicht optimal ausgestattet. Emotional ist die ASD-Arbeit mit kaum einem anderen Verwaltungsbereich zu vergleichen. Hohe Fallverantwortung trifft auf große Arbeitsbelastung. Ich habe einen ordentlichen Respekt vor der Leistung meiner Kolleginnen und Kollegen. Worte der Anerkennung allein nutzen aber nichts. Wir müssen sehr genau hinschauen, wie und wo wir bestmöglich unterstützen können und nach der Analyse in die Umsetzung kommen. Kinderschutzfälle passieren in allen sozialen Schichten. Die Fluktuation im ASD ist landauf landab ziemlich hoch. Ein gesunder Mix aus älteren und jüngeren Beschäftigten, aus Personal mit Migrationshintergrund und ohne ist enorm wichtig. Nur so erreichen wir die verschiedenen Communitys und Milieus, die in unserer Stadt zuhause sind. Professionelle, institutionelle Strukturen und Netzwerke, die über persönliche Beziehungen hinausgehen, sind unerlässlich für jedes Jugendamt. Das hat das Land erkannt und wird sie hoffentlich mit dem Kinderschutzgesetz fest verankern.

Wie wünschen Sie sich, dass gelingender Kinderschutz im besten Fall aussehen sollte?

Gerade jetzt zu Kriegszeiten spüren wir wieder besonders bedrückend, dass Kinderrechte täglich mit Füßen getreten werden. Weltweit! Kinder werden Opfer von Gewalt, von Krankheiten, von Armut, von Ausbeutung, von emotionaler Vernachlässigung und häufig aus einer Mischung von allem. Wir dürfen uns in Deutschland sehr glücklich schätzen, dass die meisten Kinder geborgen und gut versorgt aufwachsen können. Unserer Aufmerksamkeit bedürfen jene, denen dieses Glück nicht beschieden ist. Denn jedes Kind besitzt ein ganz persönliches Recht auf Bildung und Förderung, auf ein fürsorgliches Zuhause und Schutz vor Missbrauch und Gewalt. Ob in Familie, in Kita, Schule, Verein oder Nachbarschaft: Wir sind alle verpflichtet, Kinderrechte zu schützen und Familien bei Bedarf die Hilfe zu geben, die sie benötigen. Dafür setze ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen im ASD täglich ein.

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Hintergrund „Wochen des Kinderschutzes 2022“:

Insgesamt sind knapp 20 Veranstaltungen und Aktionen geplant, die über das ganze Jahr verteilt stattfinden und ihren Höhepunkt im September finden. Kinder, Eltern und Fachkräfte wollen aufgeklärt, sensibilisiert und stark gemacht werden, damit mögliche Gefahren frühzeitig erkannt und darauf handlungssicher reagiert werden kann. Zu den einzelnen Aktionen gehören beispielweise der Vorlesetag in Ahlener Kitas, der gemeinsame Fachtag von ASD und Schulsozialarbeit zu Abläufen und Zusammenarbeit im Kinderschutz, die Fachkonferenz der Sozialen Arbeit oder das Familienfest für den Kinderschutz mit Spiel, Spaß und Musik auf dem Ahlener Marktplatz und vieles mehr. Kindertageseinrichtungen, Schulen, Beratungsstellen, Fachdienste und Eltern - alle machen mit. 
 

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