„Komödie und Tragödie zugleich“

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Als „Komödie und Tragödie zugleich“ bezeichnet Ilja Richter den Gedenktag am 9. November. „Er ist wie zwei Zwillinge. Der eine ist traurig und sein Bruder kann feiern“, beschrieb der Schauspieler und Schriftsteller den Tag, an dem mit dem Fall der innerdeutschen Grenze sowie der Verwüstung  von Synagogen, Wohnungen und Geschäften jüdischer Mitbürger zwei der prägendsten Ereignisse in der deutschen Geschichte stattfanden.

Der Entertainer folgte einer Einladung der Stadt Ahlen und des Forums Brüderlichkeit, als Ehrenredner an der Gedenkveranstaltung zum 76. Jahrestag der Reichspogromnacht teilzunehmen. Am Mahnmal auf der Klosterstraße übte Richter Kritik daran, wie gedankenlos viele Menschen mit dem Andenken an die Opfer des Nationalsozialismus umgehen. „Das ist die Situation und so war es 1938 auch“, wünschte er sich eine bewusstere Kultur des Erinnerns.   

Zu mehr Toleranz und Respekt vor anderen Kulturen rief Bürgermeister Benedikt Ruhmöller auf. Er warnte mit eindringlichen Worten vor den Gefahren der Selbsttäuschung. „Wir dürfen uns in Ahlen keinesfalls der Illusion hingeben, dass in dieser Stadt der kulturellen Vielfalt, der vielen Religionen, Kulturen und Abstammungen die Akzeptanz füreinander und der Respekt voreinander Standard seien“, sagte Ruhmöller vor rund 200 Zuhörern in der Klosterstraße.

Antisemitismus und Ablehnung des Judentums seien in Deutschland nach wie vor in einem furchtbaren Ausmaß verbreitet. Ablehnung treffe insgesamt, was man als fremd empfindet. „Man fühlt sich verfremdet in seiner Beschaulichkeit, ausgenutzt – vor allem wirtschaftlich – und bedroht in seiner Identität, besonders in seinem Wohlstand.“ Erschreckend verbreitet seien Vorurteile und Vorbehalte sowie das Klischeedenken und Schuldvorwürfe, „wofür auch immer.“ Der Bürgermeister appellierte an die Anwesenden, es nicht mehr zuzulassen, dass Mitmenschen ausgegrenzt, verunglimpft, abgelehnt werden. „Wir sind dies den Opfern der Pogromnacht und des Nazi-Terrors schuldig – und unserem eigenen Anspruch, dass wir in Ahlen über alle Grenzen hinweg menschlich leben.“

Das Jahr 2014 sei für die Juden in Deutschland das schlimmste gewesen seit Ende des letzten Krieges, erklärte Ruth Frankenthal, Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Unter dem „Deckmäntelchen“ der Kritik an der Palästina-Politik des Staates Israel sei Antisemitismus offen aufgetreten. Entsetzt seien viele Menschen jüdischen Glaubens gewesen, dass auf öffentlichen Kundgebungen ungestraft antijüdische Parolen geäußert werden konnten. „Wir standen wie paralysiert vor den Auswüchsen dieses Hasses“, sagte Frankenthal tief bewegt. Die ausgebliebene Kritik von Kirchen und Politik an diesen Vorkommnissen habe zu maßloser Enttäuschung geführt.

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