Schicksal des jüdischen Urgroßvaters machte betroffen
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Menschen wurden auf offener Straße misshandelt, Wohnungen und Geschäfte geplündert, die Synagoge in Brand gesetzt. Der Kaufmann Siegmund Spiegel verlor sein Leben, als ihn Nazi-Schergen durch die Straßen der Stadt trieben.
Bürgermeister Dr. Alexander Berger erinnerte in der Veranstaltung, zu der das Forum Brüderlichkeit, der Familienbildungsstätte und die Volkshochschule eingeladen hatten, auch an das Leid der Juden in den Ländern, in denen der deutsche Vernichtungskrieg ab 1939 tobte. Er zog dabei Parallelen zum heutigen völkerrechtswidrigen Krieg Russlands. So leide die jüdische Bevölkerung der Ukraine darunter, dass 2022 wieder die Orte angegriffen würden, die schon vor 80 Jahren Ziel von Angriff und Zerstörung waren. Nach acht Jahrzehnten seien die Juden in der Ukraine wieder auf der Flucht, viele nach Israel. „Die jüngste Emigrationswelle nach Israel zeigt wieder auf tragische Weise, warum die Existenz des jüdischen Staates so wichtig und richtig ist.“ Berger kritisierte sogenannte „Israelkritik“, die darauf abziele die Legitimation des jüdischen Staates infrage zu stellen. Man müsse unterscheiden zwischen legitimer Kritik an den Institutionen eines Staates und der nicht zu akzeptierenden Ablehnung seiner Existenz. Die Gesellschaft müsse alles dafür tun, dass sich Juden in Deutschland sicher und zuhause fühlen. Ihnen dürfe kein Anlass gegeben, zum Schutz vor antisemitischen Angriffen auswandern zu müssen. „Die Geschichte würde es uns Deutschen nicht verzeihen, wenn wir zum wiederholten Male unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern durch Gleichgültigkeit und Wegsehen das Recht auf Heimat entzögen.“
Schülerinnen und Schüler des Städtischen Gymnasiums erinnerten an konkrete Schicksale, die Ahlener Jüdinnen und Juden in der Nacht des 9. November 1938 erlitten haben. Dazu wurden an die Fassade der Familienbildungsstätte Aufnahmen von früheren Wohnstätten jüdischer Bürgerinnen und Bürger sowie Tatorten der Nazi-Verbrechen in Ahlen projiziert. Wie Juden Antisemitismus heute in Deutschland erleben und welche Formen des Gedenkens angesichts der immer weniger werdenden Zeitzeugen erforderlich werden, erklärte den Zuhörenden Anna Stöckmann, Mitglied der Gemeindevertretung der Jüdischen Gemeinde Münster, zu deren Synagogenbezirk Ahlen zählt. Betroffenheit löste die Geschichte von ihrem ermordeten Urgroßvater aus, der als angesehener Handwerker in Weißrussland lebte und von seinen nicht-jüdischen Nachbarn an die deutschen Besatzer ausgeliefert worden war. Professor Peter Longerich referierte über Wurzeln und Formen des Antisemitismus in Deutschland. Der Historiker gilt als einer der profundesten Kenner der Materie und war Sprecher des ersten unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Deutschen Bundestags und Mitautor der Konzeption des Münchner NS-Dokumentationszentrums. Musikalisch begleitete die Gedenkstunde der Evangelische Posaunenchor.