Städt. Gesamtschule soll nach Therese Münsterteicher benannt werden

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Jesper Juul? Die meisten Menschen, die beruflich nichts mit Pädagogik zu tun haben, werden diesen Namen vermutlich erst mal bei Wikipedia nachschlagen müssen. Nicht so Elisabeth Beier. Der Leiterin der Städtischen Gesamtschule Ahlen ist der 2019 verstorbene dänische Familientherapeut, der einige, wie sie findet, sehr interessante Bücher über Erziehungsfragen geschrieben habe, durchaus ein Begriff.

Wie auch anderen Mitgliedern ih¬¬res Kollegi¬ums. Und so kam Jesper Juul in die engere Auswahl für den neuen Schulnamen. Das Rennen aber machte ein anderer Vorschlag: Therese Münsterteicher. 

Von 18 Stimmen entfielen in der entscheidenden Sitzung der Schulkonferenz vor wenigen Tagen 16 auf sie, zwei auf Heinrich Sommer, einen in Ahlen geborenen katholischen Priester und Pionier der Behindertenarbeit, der von 1872 bis 1918 lebte.

„Fast einstimmig, das ist schon toll“, freut sich Elisabeth Beier über das Votum. Nun muss nur noch die Stadt als Schulträger ihr Okay geben, dann kann sich die Schule zum Beginn des neuen Schuljahrs am 1. August offiziell in Therese-Münsterteicher-Gesamtschule umbenennen. Etwas lang sei der Name ja, gibt die Schulleiterin zu, „wenn ich mich dann damit am Telefon melde“, aber daran werde man sich schnell gewöhnen, glaubt sie.

Im Herbst des vergangenen Jahres hatte sich eine Ar¬beitsgruppe aus Lehrern, Schülern und Eltern der Aufgabe gestellt, einen neuen Namen für Ahlens zweite Gesamtschule zu finden, nicht nur, um mögliche Verwechslungen mit der Fritz-Winter-Gesamtschule auszuschließen. Es sollte ein Name sein, der das Leitbild und das Selbstverständnis der Schule verkörpert, ein Name, der für eine Schule mit Herz und Verstand steht, für kulturelle Vielfalt, für Mut und Zivilcourage, der Orientierung gibt und möglichst einen lokalen Bezug hat. Als wünschenswert erachtete die Ar¬beitsgruppe es auch, dass eine Frau Namensgeberin wird, denn Schulen, die nach Männern benannt sind, gebe es in Ahlen schon genug.

Mit diesem Anforderungsprofil ging die Schule Anfang November auch an die Öffentlichkeit. Der Aufruf hatte eine überwältigende Resonanz: 110 Zuschriften gingen ein, mit 78 verschiedenen Namensvorschlägen. Darun¬ter auch Angela Merkel. Aber lebende Personen schieden aus, diesen Hinweis hatte die Arbeitsgruppe nicht explizit gegeben.

Der Lockdown vor Weihnachten bremste den weiteren schulinternen Abstimmungsprozess erst einmal aus. „Als dann kurz vor den Osterferien einmal wieder alle Schülerinnen und Schüler in der Schule waren, haben wir die Gelegenheit genutzt, um den Faden wieder aufzunehmen“, berichtet Elisabeth Beier. Die Namensvorschläge wurden den Schülerinnen und Schülern im Präsenzunterricht vorgestellt, die Eltern erhielten eine Präsentation per Mail. Anschließend wurde ein Meinungsbild abgefragt. Mit zum Teil erstaunlichen Ergebnissen.

So lag Heinrich Sommer bei der Abstimmung unter den Schülern vorne. Elisabeth Beier hat eine Vermutung, was der Grund dafür sein könnte: „Dann hätte es heißen können ,Gehst du auf die Winter- oder die Sommer-Gesamtschule??. Das fanden einige Kinder wohl ganz witzig.“

Bei den Lehrern belegte die Ahlener Jüdin Marga Spiegel Platz eins. Und auch deren Freundin Anni Richter, Tochter einer der Bauernfamilien, die die Spiegels in den letzten Kriegsjahren auf ihren Höfen vor den Häschern der Nazis versteckten, schaffte es auf die Vorschlagsliste für die Schulkonferenz. Weitere „Finalisten“ waren Anne Frank, Katharina Busch, Edith Stein – und eben Jesper Juul.

Therese Münsterteicher (1897-1967), das ist auch Elisabeth Beiers ganz persönliche Meinung, sei „auf jeden Fall eine gute Wahl“. Sie erfülle die von der Arbeitsgruppe „Namensfindung“ aufgestellten Kriterien zu hundert Prozent.

Vor allem hat sie, die Frau des Bergmanns Johann Münsterteicher, großen Mut und Charakter bewiesen, als sie in der NS-Zeit der Familie ihrer jüdischen Arbeitskollegin Rosa Moszkowicz beistand, sie vor Aktionen der SA warnte und sie heimlich mit Lebensmitteln versorgte. Vor der Deportation in die Vernichtungslager konnte sie ihre Freunde jedoch nicht bewahren. Als einziges von sieben Kindern überlebte Imo Moszkowicz den Holocaust. Als er im Mai 1945 nach Ahlen zurückkehrte und plötzlich bei Therese Münsterteicher vor der Tür stand, fragte sie ihn: „Und wo sind die anderen?“ Dieses Zitat wählte die Ahlener Autorin Hildegard Offele-Aden als Titel für ihre 2002 veröffentlichte Biografie über „Tante Threschen“, wie Imo sie nannte. Später sagte er einmal über sie: „Sie war der personifizierte Widerstand gegen die Nazis.“ In der „Allee der Gerechten“ in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ließ Moszkowicz 1996 durch Pfarrer Heinz Aden einen Baum für Therese Münsterteicher pflanzen. „Einen ganzen Wald hätte sie verdient“, sagte er.

Elisabeth Beier freut sich, dass Hildegard Offele-Aden sich schon bereit erklärt hat, daran mitzuwirken, den künftigen Schulnamen, mit dem ja auch eine Verpflichtung verbunden sei, mit Leben zu füllen, nicht nur durch Lesungen aus ihrem Buch. Eine weitere Idee ist, gemeinsam mit den Schülern einen Wikipedia-Eintrag zu verfassen. Den gibt es nämlich über Therese Münsterteicher, im Gegensatz zu Jesper Juul, bisher noch nicht.

Quelle: Peter Harke, Ahlener Zeitung vom 27. April 2021

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