Stolpersteine erinnern an Zwangsarbeitende
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Kulturfachbereichsleiter Christoph Wessels dankte dem Leiter des Stadtteilbüros, Hermann Huerkamp, dass dieser kurzerhand die Lohnhalle für die Veranstaltung öffnete. Die Konzentration der Besucherinnen und Besucher war so ungeteilt auf die ergreifenden Vorträge gerichtet, die vier Schülergruppen vorbereitet hatten.
Im Mittelpunkt der diesjährigen Verlegung von 13 Steinen stand das Schicksal von Frauen und Männern, die während des Zweiten Weltkriegs zur Zwangsarbeit nach Ahlen verschleppt worden waren. Ganz überwiegend kamen diese aus Polen und den Teilrepubliken der früheren Sowjetunion. Wie Recherchen der Schülergruppe von der Fritz-Winter-Gesamtschule zeigten, stammten etwa zehn Prozent aller im Bereich des heutigen Kreises Warendorf eingesetzten „Fremdarbeiter“ aus den Niederlanden, was heute weitgehend vergessen ist. Nach den noch vorhandenen Dokumenten aus jener Zeit waren in den Altkreisen Beckum und Warendorf rund 12.000 Menschen aus gegnerischen Kriegsnationen verpflichtet, in heimischen Betrieben, auf der Zeche und in der Landwirtschaft unter teils menschenunwürdigen Bedingungen Zwangsarbeit zu verrichten. In Ahlen waren es allein 7000, die in verschiedenen Lagern untergebracht waren und in vielen Fällen ihr Leben verloren haben. Auf dem Ostfriedhof erinnert ein Gräberfeld an die verstorbenen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen.
Zwangsarbeitende in Landwirtschaft und Industrie
Das NS-Regime achtete streng darauf, dass es zwischen Zwangsarbeitenden und Zivilbevölkerung zu keinen Kontakten kam. Verstöße wurden mit drakonischen Strafen geahndet. So trugen Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs St. Michael die Geschichte einer Ahlener Bürgerin vor, die Barmherzigkeit in dunkler Zeit bewiesen hatte. Den chronisch unterernährten Zwangsarbeitenden steckte sie Lebensmittel zu, was mit der Verhaftung und Einweisung in das Konzentrationslager Ravensbrück endete. Aus diesem wurde sie gegen Kriegsende als politisch Gefangene befreit. Für Zwangsarbeitende hatten Verstöße oftmals schlimmere Konsequenzen.
Gruppen von Overbergschule und Therese-Münsterteicher-Gesamtschule beleuchteten die Anfänge der Nazidiktatur in Ahlen und lieferten einen Überblick über die Unternehmen der Metallindustrie, in denen vorwiegend Zwangsarbeitende zur Aufrechterhaltung der kriegswichtigen Produktion zum Einsatz gekommen waren. Bürgermeister Dr. Alexander Berger betonte die Verantwortung, den Opfern die Würde zurückzugeben, die ihnen die Nazis geraubt und verwehrt haben. „Uns beschämt das Schicksal jener Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in deutschem Namen und in deutscher Schuld ihre Freiheit, Gesundheit und oftmals auch ihr Leben ließen.“ Den weiterführenden Schulen mit ihrer aktiven Erinnerungskultur sei er dankbar, dass sie seit Jahren mit großem Engagement das Unrecht der Vergangenheit beleuchten, um notwendige Lehren für die Gegenwart und Zukunft zu ziehen. Das Leid vieler Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die nach ihrer Befreiung in die Sowjetunion zurückkehrten, habe dort Fortsetzung gefunden. „Sie galten dort noch lange als Verräter, für viele führte der Weg von einem Arbeitslager in das nächste“, erinnerte Berger.
Ausgestoßen als „Ballastexistenz“
Als besondere Gäste durfte der Bürgermeister Angela Weßel und Ingeborg Mejauschek begrüßen, deren Vater bzw. Großvater Heinrich te Fries 1944 aus dem Konzentrationslager Mittelbau Dora befreit wurde. Wegen diverser Kleindelikte galt er im Dritten Reich als „Ballastexistenz“ und musste seit 1937 in verschiedenen Lagern sein Leben fristen. Vor seiner letzten Wohnung, die er vor der Inhaftierung an der Kurvenstraße 3 bewohnte, erinnert jetzt ein Stolperstein an den Ahlener. „Der Staat hat nicht gewünscht, dass Personen wie er am öffentlichen Leben teilnahmen“, so Christoph Wessels. Der Organisator der Verlegung forderte die Anwesenden auf, gegenüber Unrecht und Willkür immer wachsam zu bleiben. Für die Recherche dankte Wessels Manfred Kehr, der seit 15 Jahren zu Naziopfern aus Ahlen forscht und zahlreiche Schicksale aufklären konnte.
Anstelle des terminlich verhinderten Erfinders der Stolpersteine, der Künstler Gunter Demnig aus Köln, verlegten Dirk Schumacher und Michael Kreft von den Ahlener Umweltbetrieben die Erinnerungssteine, von denen jetzt rund 200 Exemplare im Ahlener Straßenpflaster liegen.
Übersicht der jetzt verlegten Stolpersteine mit Standort:
Zeche „Westfalen“
HIER ARBEITETE
NIKOLAJ KOSOBUTSKY
JG. 1925 UKRAINE
SEIT 1943 ZWANGSARBEIT ZECHE „WESTFALEN“
BEFREIT
HIER ARBEITETE
JUSCHKA BONDARENKO
JG. 1927 UKRAINE
SEIT 1943 ZWANGSARBEIT ZECHE „WESTFALEN“
TOT 7. FEB. 1944
HIER ARBEITETE
ROSTISLAW GUMENTSCHUK
JG. 1925 UKRAINE
ZWANGSARBEIT ZECHE „WESTFALEN“
VERHAFTET „ERZIEHUNGSLAGER“
SCHICKSAL NIE GEKLÄRT
Lütkeweg 55
HIER ARBEITETE
EFROSINA STOROZHUK
JG. 1926 UKRAINE
SEIT 1942 ZWANGSARBEIT FIRMA WINKELMANN & PANNHOFF
BEFREIT
Alte Ladestraße 46
HIER ARBEITETE
HENIJA KALINOWNA
JG. 1923 SOWJETUNION
SEIT 1942 ZWANGSARBEIT STANZ- UND EMAILLIERWERK OTTERSTEDDE
BEFREIT
Lütkeweg 15
HIER ARBEITETE
KATHARINA DUSCHKO
JG. 1924 UKRAINE
SEIT 1942 ZWANGSARBEIT FIRMA SCHOMAKER
TOT 24. FEB. 1944
HIER ARBEITETE
NIKOLAI IWASCHTSCHENKO
JG. 1891 UKRAINE
SEIT 1943 ZWANGSARBEIT FIRMA SCHOMAKER
TOT 11. MÄRZ 1944
Warendorfer Str. 167
HIER INTERNIERT
OLGA DUSCHKO
JG. 1922 UKRAINE
SEIT 1942 ZWANGSARBEIT FIRMA SCHOMAKER UND NAHRATH
BEFREIT
HIER INTERNIERT
FEOKDISTA BITSCHKOWA
JG. 1900 SOWJETUNION
SEIT 1942 ZWANGSARBEIT FIRMA SCHOMAKER
TOT 8. MÄRZ 1944
HIER INTERNIERT
IWAN MIGULA
JG. 1918 SOWJETUNION
SEIT 1942 ZWANGSARBEIT FIRMA QUAST
TOT 23. MÄRZ 1944
Hammer Str. 2
HIER ARBEITETE
LIDIJA BOSOWA
JG. 1923 UKRAINE
SEIT 1942 ZWANGSARBEIT FIRMA BUSCHHOFF
TOT 2. DEZ. 1944
Theodor-Schwarte-Str. 59
HIER ARBEITETE
SOFIA KRISCHEWSKA
JG. 1923 UKRAINE
ZWANGSARBEIT FIRMA SCHWARTE
TOT 19. JAN. 1945
Beckumer Str. 33
HIER ARBEITETE
SERAFIMA JAZENKO
JG. 1924 UKRAINE
SEIT 1942 ZWANGSARBEIT FIRMA KALDEWEI
TOT 1. MÄRZ 1944
Kurvenstr. 3
HIER WOHNTE
HEINRICH TE FRIES
JG. 1905
VERHAFTET 1937
MAUTHAUSEN DEPORTIERT
1943 AUSCHWITZ
1944 MITTELBAU DORA BEFREIT